Gelebter Schamanismus in Mitteleuropa

„Gelebter Schamanismus steht immer unter dem Einfluss der jeweils herrschenden kulturellen und religiösen Vorstellungen – sein Wirken und Erleben ist im Hier und Jetzt. In Mitteleuropa können wir von Schamaninnen und Schamanen aus Sibirien, Afrika, Amerika oder Südasien lernen, deren Techniken für uns oft sehr aufschlussreich sind und deren Geschichten uns berühren. In allen Kulturen, in denen Schamanentum gelebt wird, werden Geschichten erzählt, oft von den Schamaninnen und Schamanen selbst. Solche Geschichten sind hilfreich und heilsam. Sie erzählen von den besonderen Lebensanforderungen einer Kultur und schildern, welche Wege, Antworten und Lösungen die Heldinnen und Helden der Geschichten gefunden haben. Dadurch werden die Erzählungen wegweisend für Menschen, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Die Geschichten geben Antworten auf stille, drängende Fragen, fassen den Kummer in Worte und geben Rat. Dennoch klingen diese Erzählungen für manche immer ein bisschen exotisch und unverständlich, und das verleitet sie dazu, eine gewisse Distanz zum gelebten Schamanismus einzunehmen. Schamanische Geschichten, die in der heutigen Zeit in Mitteleuropa entstanden sind, mögen sie erst recht als fremd empfinden, weil sie von der allgemein anerkannten gesellschaftlichen Wahrnehmung abweichen. Doch diese Geschichten sind nicht fremd – sie haben unmittelbar mit uns zu tun. Und in ihnen steckt eine heilende, helfende und unterweisende Kraft.
Viele Leute behaupten, bei uns könne es keine Schamanen geben, weil wir uns schon allzu sehr von der Natur entfernt hätten. Sie übersehen dabei, dass wir selbst Natur sind. Und nicht jeder, der aus unserer Sicht naturverbunden lebt, ist ein Schamane. Es ist zwar allerhöchste Zeit, dass Menschen und Gesellschaften aus den Industriestaaten der Natur und allen Lebewesen endlich wieder mehr Achtung schenken, aber deshalb muss jemand aus unseren Breitengraden nicht ein Leben wie im Dschungel oder in den Steppen Südsibiriens führen, um ein Schamane zu sein.
Unsere Art des gelebten Schamanismus setzt genau dort an: Wir brauchen unsere eigenen modernen schamanischen Rituale und Geschichten, damit das Schamanentum aus unserer Mitte heraus wachsen kann. Die „Weisse Eule“ erfüllt diese Bedingung. Um das Ritual und seine Entstehung geht es in diesem Buch.“

Auszug aus: Adrian Osswald. „Die Weisse Eule.“ 

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