November 2003

Grossvater Saryglar Borbak-Ool, du bist Ende September 2003 verstorben. Es ist mir ein persönliches Anliegen, dir an dieser Stelle und auf diese Weise nochmals dafür zu danken, dass du mich in der tagtäglichen Wirklichkeit eines Schamanen unterrichtet und mich als Teil deiner Familie gesehen hast. Du hast mich gelehrt, Schamane zu sein in meiner westlich geprägten Welt. Ich bin froh darüber, dass du mich nicht Tuvaschamanismus gelehrt, sondern mich aufgefordert hast, in meinen Kategorien zu denken, wahrzunehmen und zu handeln. Unser "schamanisches Telefon" hat immer wieder funktioniert, und so habe ich dennoch einige tuvinisch-schamanische Fertigkeiten von dir erlernt. 
Auch wenn ich noch viel mehr hätte von dir lernen können und wollen, bin ich sicher: Du hast mir das beigebracht, was bis Ende September 2003 möglich war. 
Ich war ein störrischer, zweifelnder Schüler. Für deine Geduld, deinen Humor, für deine Strenge und deine Fähigkeit, Schwächen zu zeigen und zuzulassen danke ich dir, Saryglar Borbak-Ool, mein Lehrer, Grossvater und "Adoptivvater".

Grossvater starb friedlich, auch wenn er seit einiger Zeit grosse Schmerzen hatte. Solange er konnte, hat er Menschen mit seiner Fähigkeit geholfen und geheilt. Bis fast zuletzt traf man in seiner Einzimmerwohnung in Kha-Khem, einem Vorort von Kyzyl, auf Hilfesuchende.
Am 1. Oktober, dem Tag seiner Beerdigung, waren viele Verwandte und Freunde sowie Prof. Dr. Kenin-Lopsan Mongusch Borachowitsch und einige Schamanen der Schamanenklinik "Dungur" zugegen. Die "7.-Tag-Zeremonie" wurde durch den "Dungur"- Schamanen Adyg-Ool durchgeführt, welcher von einigen Menschen in Tuva auch "der tanzende Schamane" genannt wird. Grossvater Saryglars Wunsch war, dass alle seine schamanischen Gebrauchsgegenstände dem lokalen Museum seines Heimatdorfes überlassen werden.
Die "49.-Tag-Zeremonie" wurde inzwischen auf den 12. November 2003 festgelegt. Nach der tuvinischen Vorstellung verlässt an diesem Tag Grossvaters "graue Seele" seine Familie und sein Heimatland. An der von einem Schamanen durchgeführten Ritual werden die Hinterbliebenen nochmals die Möglichkeit haben, durch Vermittlung des Schamanen die Wünsche des Verstorbenen seine Familie betreffend zu erfahren.


Rollanda Kongar vom Research Center for Shamanic Studies in Tuva bat mich, ihren folgenden Nachruf auf meiner Homepage zu veröffentlichen. Sie bittet alle, die Grossvater Saryglar Borbak-Ool kannten, am 12. November ihm zu Gedenken zu trommeln:

Dear friends, I'd love everybody who truly respects and understands what shamanism is drum to the Great shaman of Tuva, Borbak-ool Saryglar on the 12th of November. It is the ritual 49th day when close people will say good-bye to his soul. I know lots of you remember him and hope that you will join our memory party. Make a fire ceremony honouring the master spirit of the fire with food, some drinks and smoke. Grandfather was fond of eating mutton, drinking some fresh Tuvan tea, smoking a lot. He could appreciate a good strong drink, a nice talk with smart and kind people. He liked to laugh and make jokes. He loved life, people, his family and his homeland. He was a true shaman, humble and loving, compassionate and patient, funny and powerful.  

Drum to Borbak-ool Saryglar, dear friends! Drum to the great Tuvan shaman, children of the Mother-Earth! 

Rollanda Kongar,
Research Center for Shamanic Studies in Tuva.

Adrian Osswald, Anfang November 2003


Inzwischen ist auch ein Artikel in der Zeitschrift "Schamanismus" von der Foundation for Shamanic Studies erschienen. Mit freundlicher Genehmigung von Paul Uccusic gebe ich den ganzen Artikel hier wieder.

Tuvinischer Schamane Saryglar gestorben

Der tuvinische Schamane Saryglar-Borbak-Ool Duktug-Oolowitsch ist am 27. September 2003 von uns gegangen. Er war 76 Jahre alt. Die 14-köpfige Delegation aus Westeuropa und den USA, die anlässlich des Schamanismus-Kongresses im August 2003 in Kyzyl, Tuva, weilte, hatte in seiner kleinen Wohnung in Kyzyl noch zweimal Gelegenheit zu Treffen mit ihm. Trotz heftiger Schmerzattacken und sichtlicher Schwäche behielt er seinen guten Humor bis zuletzt, er scherzte, lachte und segnete mit letzter Kraft in einer Räucherzeremonie alle Teilnehmer. Seinen Freunden in Europa - er war anlässlich mehrerer Kongresse und Seminare in Österreich, in der Schweiz und in Deutschland zu Besuch - liess er ausrichten, dass er alle, die bei ihm lernten, als "Söhne, Töchter und Enkel" ansehe. Er hoffe, sie alle würden sein Erbe weitertragen und zum Wohle der ihnen Anvertrauten "die schamanischen Ideen von Harmonie, Frieden und Wohlergehen" verbreiten. Unter Anteilnahme zahlreicher Verwandter, Freunde, Schamanenkollegen und Prof. Kenin-Lopsan wurde er am 1. Oktober zu Grabe getragen. Seine schamanischen Attribute (Trommel, Kostüm etc.) vermachte er dem Museum seines Heimatortes Bora-Taiga im Bezirk Sut-Chol. 


Ich möchte hier auch allen danken, welche mir spontan ihre Erlebnisse mit Grossvater erzählt haben, nachdem sie von seinem Tod erfahren haben. Einige Menschen berichteten mir auch davon, dass Grossvater ihnen seit seinem Tod im Traum oder auf schamanischen Reisen erschienen sei. Auch diesen möchte ich herzlich danken.

Adrian Osswald, im Januar 2004

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